Unterfinanzierung der Studierendenwerke in NRW

Sehr geehrte Landesregierung,
sehr geehrte Frau Brandes,

wir schreiben Ihnen, um deutlich auf die unzureichende finanzielle Unterstützung, die den Studierendenwerken durch das Land NRW gewährt wird, hinzuweisen. Wir können nicht erkennen, dass die Landesregierung den Willen hat, die Bedingungen des Studierendenlebens in NRW zu verbessern, geschweige denn das momentane Niveau zu erhalten. Die im Koalitionsvertrag verabredete Erhöhung der Zuschüsse des Landes an die Studierendenwerke von 3 Prozent jährlich deckt nicht im Geringsten die Mehrausgaben, vor denen die Studierendenwerke momentan, durch die gestiegenen Kosten für Energie und Lebensmittel, stehen.
Die Landesregierung hat den Studierendenwerken zwar Krisenhilfen in Höhe von 30 Mio. € versprochen, um die Steigerung der Energiepreise abzufedern. Allerdings besteht auch hier anscheinend auf Seiten der Landesregierung kein Wille, den Studierendenwerken diese Summe vollständig zur Verfügung zu stellen. Der Bürokratieaufwand diese Gelder zu beantragen ist, laut Studierendenwerke, so groß und unübersichtlich, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass die gesamte Summe ausbezahlt werden wird.

Diese akuten finanziellen Probleme der Studierendenwerke gaben den Anlass, sich tiefergehend mit dem Finanzierungskonstrukt der Studierendenwerke zu beschäftigen. Das Ergebnis: Die Studierendenwerke werden seit Jahrzehnten willentlich durch die Landesregierungen NRWs massiv unterfinanziert.

Da stellt sich unweigerlich die Frage, wie sich die Finanzierung der Studierendenwerke in den letzten 30 Jahren entwickelt hat. Es gab in den letzten Jahren schon mehrere Initiativen und Anfragen der Studierendenwerke, die genau dieses Problem thematisierten, aber daraus wurden bei der Landesregierung anscheinend keine sinnvollen Schlüsse gezogen.

Der allgemeine Zuschuss des Landes an die Studierendenwerke liegt nicht einmal auf dem Niveau von 1994. 1994 lag der Betrag bei 37,62 Mio. €¹ und ist bis 2023 auf 46,98 Mio. € angewachsen. Inflationsbereinigt ist diese Erhöhung aber faktisch eine Verringerung der Finanzierung um über 25 %.² Außerdem sind die Studierendenzahlen seit 1994 um 130.000, beziehungsweise um ca. 30%, gestiegen. Die Studierendenwerke in NRW müssen also mit 25% weniger Kaufkraft 30% mehr Studierende versorgen.

Lag die Finanzierung der Studierendenwerke durch das Land NRW im Jahr 1994 noch über der Finanzierung über die Sozialbeiträge der Studierenden, so hat sich dies im Jahr 2005 geändert. Im Jahr 2005 waren die Beträge der Finanzierung durch den allgemeinen Zuschuss vom Land und durch den Sozialbetrag der Studierenden auf demselben Niveau, bei ungefähr 40,7 Mio. €, seitdem wächst die Kluft zwischen den beiden Beträgen immer weiter. Mittlerweile beziehen die Studierendenwerke mehr als das Doppelte durch die Sozialbeiträge. 2021 kamen 44,5 Mio. € vom Land und 107,983 Mio. € von den Studierenden.

Der Sozialbeitrag hat sich für die Studierendenwerke in den letzten drei Jahrzehnten zum größten Finanzposten neben den Umsatzerlösen entwickelt. Während jede:r Studierende:r 1994 zur Finanzierung der Studierendenwerke jährlich noch 50,50 € beigetragen hat, so sind es 2022 ganze 181,25 €.³ Das ist selbst inflationsbereinigt noch mehr als eine Verdopplung. Wir halten das für eine Entwicklung hin zu Studiengebühren durch die Hintertür!

Auch in diesem Jahr wird es wieder zu Mehrbelastungen der Studierenden kommen. Preisanpassungen im Gastronomiebereich sind teilweise schon umgesetzt und zum kommenden Wintersemester wird höchstwahrscheinlich der Sozialbeitrag erhöht. Damit werden wieder die Studierenden zur Kasse gebeten, weil die Landesregierung die Studierendenwerke nicht ausreichend finanziert. Und das, obwohl genau das zuletzt in den Erklärungen der Landesregierung zu den Krisenhilfen wegen steigender Energiepreise ausgeschlossen wurde⁴.

Die Landesregierung, beziehungsweise alle Landesregierungen seit 1994, vertreten also offensichtlich den Standpunkt, dass die Arbeit, die von den Studierendenwerken geleistet wird, nicht viel wert ist. Bezahlbare Gastronomie, bezahlbarer Wohnraum, Kinderbetreuung, die Bearbeitung von BAföG-Anträgen und die vielen anderen Aufgaben, die die Studierendenwerke übernehmen, sind also, aus Sicht der Landesregierung, nicht unterstützenswert.

Dabei ermöglichen gerade diese zahlreichen und günstigen Angebote vielen Studierenden überhaupt erst ihr Studium aufzunehmen. Die Studierenden sind (2021) zu 37,9 % armutsgefährdet. Studierende, die allein oder mit anderen Studierenden zusammenleben, sind (2021) gar zu 76,1 % armutsgefährdet.⁵ Insbesondere internationale Studierende, Studierende mit Beeinträchtigungen und Studierende aus prekären Familienverhältnissen profitieren in besonderem Maße von den Angeboten der Studierendenwerke. Die Aufrechterhaltung und der Ausbau dieser Angebote dürften also im besonderem Interesse aller sein, die die Durchlässigkeit der sozialen Schichten erhöhen und den Zugang zu guter Bildung verbessern wollen. Gerade hier darf für die Finanzierung der Grundsatz, so wenig wie möglich“ nicht gelten!

Die vergangenen Jahrzehnte haben die Studierendenwerke zwar überstanden, zuletzt während der COVID Pandemie und letztes Jahr mit starken Preiserhöhungen vor allem im Energiebereich brauchten sie finanziell allerdings erhebliche Krisenhilfen durch das Land.

Wir fordern daher die Landesregierung auf, den allgemeinen Zuschuss an die Studierendenwerke umgehend auf mindestens 92 Mio. €⁶ zu erhöhen. Selbst diese starke Erhöhung würde nur den Kaufkraftverlust des allgemeinen Zuschusses im Vergleich zu 1994 ausgleichen, den Anstieg der Studierendenzahlen berücksichtigen und den Sozialbeitrag aller Studierenden in NRW um lediglich 20 € pro Jahr senken. Außerdem fordern wir eine Dynamisierung des allgemeinen Zuschusses, sodass die jährliche Erhöhung des allgemeinen Zuschusses die gesamten Ausgabensteigerungen der Studierendenwerke abfedern, die Sozialbeiträge nicht mehr erhöht werden und perspektivisch weiter verringert werden können. Diese Erhöhung kann nur als fairer nächster Schritt angesehen werden, nachdem die Studierendenwerke vom Land NRW über Jahrzehnte unterfinanziert wurden und die Studierenden diese Unterfinanzierung sowohl im finanziellen Sinn als auch in ihrem Studierendenleben ausbaden mussten.

Mit freundlichen Grüßen

¹ Vgl. Abbildung 1
² Die Kaufkraftverluste wurden auf Grundlage der Inflationsraten in Deutschland berechnet (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/4917/umfrage/inflationsrate-in-deutschland-seit-1948/).
³ Berechnung: Summe der Sozialbeiträge / Studierendenzahlen
https://www.land.nrw/pressemitteilung/16-milliarden-euro-fuer-die-krisenbewaeltigung-landesregierung-bringt-erstes ; Zugriff am 08.05.2023
https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/11/PD22_N066_63.html ; Zugriff am 08.05.2023
37,619 Mio € in 1994 sind inflationsbereinigt in 2023 61,582 Mio € wert. Diese Zahl multipliziert mit (1+ 0,3) um den Anstieg der Studierendenzahlen zu berücksichtigen ergibt ca. 80 Mio €. Zusätzliche 12 Mio € würde es, bei 600.000 Studierenden, ermöglichen die Sozialbeiträge jährlich um 20 € zu senken.