Seitens der Ampelfraktionen und der CDU-Fraktion sind seit Juli 2024 Bestrebungen bekannt, eine Resolution im Bundestag zu verabschieden, die zumindest vordergründig das Ziel verfolgen soll, „jüdisches Leben in Deutschland zu schützen, bewahren und stärken“. Diesem Anliegen ist sich aus unserer Sicht unbedingt anzuschließen und sehen dieses Ziel auch als Aufgabe für unsere Hochschule und Studierendenschaft an. Der zwischenzeitlich geleakte Entwurf einer solchen Resolution „Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“[1] sieht jedoch defacto eine Gesinnungsprüfung für Wissenschaft und Kultur auf Basis der umstrittenen und in unseren Augen ungeeigneten und politisch instrumentalisierten IHRA-Arbeitsdefinition (International Holocaust Remembrance Alliance) vor. Diese ist ungeeignet Antisemitismus im Kontext des Nah-Ost- Konfliktes zu bewerten, da sie nicht hinreichend zwischen Antisemitismus und nicht-antisemitischer Israelkritik trennt. Die hieraus resultierende Gefahr weiterer Kriminalisierung, Stigmatisierung und Ausgrenzung insb. arabischer oder muslimischer Mitmenschen in Deutschland, sowie allgemein auch die Unterdrückung von Kritik jenseits der sogenannten Staatsräson, durch die Verabschiedung einer solchen Resolution sehen wir als sehr besorgniserregend an. Gemeinsam mit der Verschärfung des Ordnungsrechtes an Hochschulen, wie es bspw. der Referentenentwurf zur erneuten Novellierung des Hochschulgesetzes in NRW vorsieht, ist zu befürchten, dass zukünftig und darüberhinaus auch vielfach, die Kritik bspw. an der genozidalen israelischen Kriegsführung in Gaza oder der Besatzung und den mörderischen Apartheitsstrukturen im Westjordanland mit temporärem Ausschluss aus dem Lehrbetrieb oder der Exmatrikulation, bzw. der Kündigung begegnet wird.
Zur angemessenen Bearbeitung des Nahost-Konfliktes braucht es das Engagement zu einem sofortigen Waffenstillstand, die Ausweitung humanitärer Hilfe in der Kriegsregion, das Ende von Waffenlieferungen, die Anerkennung des palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967, unbedingtes diplomatisches Engagement zur Befreiung aller Geiseln und politischen Gefangenen, die Förderung interessenausgleichender und völker- und menschrechtstärkender Friedensverhandlungen, und keine Zensur oder Konformismus.
Der Wissenschaftsbetrieb und die Kulturlandschaft müssen weiter inkludierend gestaltet sein. Eine Menschen- und völkerrechtsbasierte Kritik, sowie die Kritik an historisch oder sozial unreflektiertem Bezug zu jeweiligen Rechtsnormen, sollte innerhalb der zivilgesellschaftlichen Institutionen und insb. in den Hochschulen und auf Bühnen gefördert, statt bestraft werden. Wir fordern allgemein von der Bundesregierung erhöhte Anstrengungen für den Schutz und die Hilfe für von Diskriminierung Betroffener und die Beseitigung der Ursachen von Diskriminierung. Den Hochschulen sind zusätzliche Mittel bereitzustellen, um ihre Antidiskriminierungsstellen auszubauen und die Lehre in Breite inklusiv zu gestalten. In diesem Rahmen fordern wir auch den Schutz und die Unterstützung jüdischen Lebens in Deutschland und insb. an den Hochschulen zu erhöhen. Das Engagement gegen Antisemitismus darf jedoch nicht geopolitisch oder rassistisch vereinnahmt werden. Insofern fordern wir die Distanz zur IHRA-Arbeitsdefinition und eine differenzierende Bestimmung von Antisemitismus, wie sie bspw. in der Jerusalem Declaration on Antisemitism entwickelt wurde. Eine gesetzliche Festschreibung einer Definition schließen wir dabei, in Übereinstimmung mit der IHRA und JDA, aus.
Wir sind auch besorgt darüber, dass offensichtlich der demokratischen Hochschulkultur misstraut wird. Es braucht keine einschüchternde und diskriminierende staatliche Gesinnungsprüfung bei Anstellungs- und Berufungsverfahren oder bei der (staatlichen) Drittmittelvergabe, sondern die Stärkung der Hochschulautonomie und gute Lehr- und Studienbedingungen. Menschenverachtende Positionen überstehen kein ernsthaftes und ambitioniertes Berufungsverfahren und gute Lehre kann den Raum eröffnen über bestehende Ressentiments und Fehlannahmen aufzuklären und Betroffene zu empowern. Ein neuer McCarthyismus eignet sich weder den Antisemitismus und seine Ursachen zu bekämpfen, noch einen gerechten und nachhaltigen Frieden in Nahost zu erwirken.
Quellen:
[1]
https://fragdenstaat.de/dokumente/249679-antrag-entwurf-der-fraktionen-der-spd-cdu-csu-buendnis-90-die-gruenen-und-fdp/